MFG - Drum & Kontrabass
Drum & Kontrabass


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St. Pöltens gute Seite

Drum & Kontrabass

Text Thomas Winkelmüller
Ausgabe 03/2020

Gemeinsam mit Christian Kolonovits lassen Camo & Krooked ihre Songs mit Klassik verschmelzen und kreieren dabei etwas, das die Musikwelt so noch nicht erleben durfte.

115 Dezibel laut klatschen, jubeln und stampfen. Das reicht und der Lautstärkenrekord für Besucher des Wiener Konzerthauses ist gebrochen. Ganz allgemein war das Publikum bei den zwei ausverkauften Aufführungen von Red Bull Symphonic, einem gemeinsamen Abend der Drum & Bass Titanen Camo & Krooked und der Musiklegende Christian Kolonovits, Anfang Februar ein untypisches. Der Großteil unter Dreißig, Snapback-Kappe am Kopf und sonst selten bis gar nicht in Räumlichkeiten wie der heutigen anzutreffen.  
Das letzte Mal wollen die drei nicht gemeinsam aufgetreten sein. Zu viele Arbeitsstunden und Emotionen sind in das Projekt Red Bull Symphonic geflossen, bei dem sie Drum & Bass in Form einer Symphonie samt Begleitung durch das Max Steiner Orchester live präsentieren. „Das Ganze wird weitergehen. Wir machen keine Welttournee, aber jetzt aufzuhören wäre sicher Verschwendung und ein Fehltritt“, sagt der Dirigent des Abends, Christian Kolonovits. Der Mann mit stets weit aufgeknöpftem Hemdkragen und Silberplektrum um den Hals hat bereits mit österreichischen Musikgrößen wie Wolfgang Ambros, Rainhard Fendrich und Georg Danzer gearbeitet und jetzt auch Camo & Krooked in seinen Katalog aufgenommen.
Die Idee
Drum & Bass und Klassik. Zwei Genres die auf den ersten Blick nicht verschiedener sein könnten. Mit den etwa 175 BPM schallt die elektronische der beiden Musikrichtungen recht flott aus den Lautsprechern – meistens in Clubs bis in die frühen Morgenstunden hinein. Im Jargon der Szene würden Jugendliche sagen, dass die Musik „schiabt“. Um sich etwas unter der Geschwindigkeit vorstellen zu können: Der durchschnittliche Popsong hat etwa 130 BPM und ist meist deutlich langsamer. Klassik ebenso. Einem Orchester mit Ausnahme einiger Interludes dieses Tempo aufzuerlegen, wirkt im ersten Moment wie ein Akt der Folter.
Die Ursprungsidee stammt eigentlich von Felix Günther, dem ehemaligen Red Bull Culture Manager. 2016 verstirbt der Mann hinter dem Konzept an Krebs. „Das Projekt war ihm schon damals eine Herzensangelegenheit“, sagt Markus aka Krooked. Nach seinem Tod bleibt die Idee beim Unternehmen Red Bull hängen und vor eineinhalb Jahren mussten Markus und Reini eine Entscheidung treffen: Machen wir‘s oder nicht? „Wir haben uns gedacht, dass das ja in der tatsächlichen Umsetzung einem Anflug von Größenwahn gleichkommt – musikalisch, technisch, organisatorisch etc. Aber jetzt stehen wir wirklich da und haben sozusagen ein Monster erschaffen.“
Der Weg
Für dieses Vorhaben wollen Red Bull und Camo & Krooked jemanden mit Rang und Namen ins Boot holen. Einen Künstler, der die Symphonie sowohl produziert als auch dirigieren kann. Kurz darauf klingelt das Telefon bei Christian Kolonovits. „Nach dem Anruf musste ich mich einmal in die ganze Diskografie einhören“, sagt Kolonovits, „und dann habe ich plötzlich gemerkt, dass in den Tunes von den Jungs schon jede Menge orchestrales Gedankengut drinnen steckt. Da wollte ich noch etwas draufsetzen, weil ich mit ihrem Material wirklich arbeiten kann.“ Den ausschlaggebenden Anstoß für die Zusage von Kolonovits gibt dann schlussendlich seine Tochter. „Die ist riesiger Camo & Krooked-Fan und hat gesagt, da müsse ich mitmachen.“
So ist es auch geschehen. Drei Monate lang setzten sich Kolonovits und Camo & Krooked mit der Idee der elektronischen Klänge im großen Symphonieorchester auseinander, rufen sich mitten in der Nacht an und diskutieren. „Das war für mich gar nicht störend, ganz im Gegenteil. Ich arbeite ohnehin nachts so bis etwa 4 Uhr morgens. Da ist es am ruhigsten und man hat Zeit“, sagt Kolonovits, „ich hatte nur manchmal Angst, dass ich die Jungs stören könnte.“ Nacht um Nacht spielt ihnen Kolonovits Ideen auf dem Klavier vor, bis die Arbeit der drei nach vielen Wochen in einem tiefen Vertrauen endet. „Das war der Punkt, ab dem das Ganze wirklich zu wirken begann.“
Nebenbei werden Kolonovits und Camo & Krooked Freunde. „Er ist ein toller Typ, ein Genie auf seinem Gebiet, da können wir uns niemand Besseren vorstellen“, sagt Reini aka Camo, „wir haben eine richtige Gaudi und uns in unsere Welten gegenseitig reingelebt.“ Dabei haben sie eine Symbiose geschaffen, bei der beiden Seiten genug Raum zum Atmen bleiben würde. Markus sieht das ähnlich. „Das Schönste am Christian ist, dass er wirklich einfühlsam ist, wenn es um neue Musik geht. Gerade bei Drum & Bass ist es notwendig weltoffen zu sein und er hat unserer Musik in der Umsetzung vollen Respekt gezollt.“
Die Umsetzung
Am 1. und 2. Februar ist es dann soweit. Gemeinsam mit Christian Kolonovits präsentieren Camo & Krooked ihre Symphonie. Eineinhalb Stunden dauert das Gemisch aus alten und neuen Scheiben der Diskografie der beiden Drum & Bass Produzenten. Von Track zu Track brodelt die Stimmung des Publikums auf, bis sich vereinzelt die Ersten von ihren Plätzen erheben. Die rund 50 Musiker des Orchesters gehen in Sachen Tempo sichtlich an ihre Grenzen und heizen die Stimmung weiter an. Ab der Halbzeit tummeln sich die ersten Gäste inmitten der Gänge und beginnen zu tanzen – anfangs belächelt von den Zuhörern links und rechts davon. Im Konzerthaus auf rotem Teppich zu raven fühlt sich nicht für jeden richtig an, aber langsam verlässt die Zurückhaltung den Saal und hinein stürmt Tanzwut. Immer mehr Menschen erheben sich und füllen die Gänge. Am Ende kann niemand mehr der Musik widerstehen. Ein unvergesslicher Abend! Felix Günther hätte wohl seine Freude daran gehabt!
DIE KÜNSTLER UND ST. PÖLTEN
Christian Kolonovits
Lebt seit bald drei Jahrzehnten in der Nähe der niederösterreichischen Landeshauptstadt – und spart nicht mit Kritik an der lokalen Szene.

Herr Kolonovits, was verbinden Sie mit St. Pölten?

Ich wohne nicht weit von St. Pölten, nämlich in Rotheau bei Traisen und Lilienfeld. Dort habe ich ein wunderschönes Landhaus in den Voralpen. Am Wochenende mache ich kleine Trips nach St. Pölten, um mir mal einen Kopfhörer im MediaMarkt zu checken, den ich gerade in Wien vergessen habe. Da nehme ich mir dann die Zeit und fahre raus, gehe oft ins Kino am Rathausplatz, dieses wunderschöne kleine, und natürlich die Barrockstadt, die für mich einzigartig ist. Ich lebe jetzt seit fast 30 Jahren in der Nähe von St. Pölten und es ist quasi meine zweite Hauptstadt geworden – wenn auch nicht Kulturhauptstadt.
Als Musiker und Künstler, wie bewerten Sie das Kulturangebot?
Da könnte man einiges mehr machen, muss man echt sagen. Ich denke, St. Pölten war in Sachen Nachtleben früher eigentlich desaströs und der pure Horror, weil da nie wirklich viel stattgefunden hat. Ein Cineplex und Clubs am Stadtrand sind nicht genug. Die Lage hat sich jetzt eh verbessert, aber ich glaube man könnte einfach viel mehr für die Kids machen. Liveszene und die Clubs muss man allgemein am Land mehr aufbauen. Ich hätte jede Menge Vorschläge für St. Pölten, aber am Ende des Tages geht es immer um die Jugendlichen, die man frei laufen lassen sollte, aber ihnen dort helfen muss, wo sie die Unterstützung brauchen. Und für Kids geht es um Musik, ihre und nicht die meine. Genau dort sollte man ihnen Plattformen bieten, mehr Proberäume zur Verfügung stellen, um Musik selbst zu machen, aber ja, am Land ist das eben so eine Sache.
Camo & Krooked
Reini und Markus von Camo & Krooked verbindet viel mit St. Pölten, Letzterer ging sogar hier zur Schule.
Was verbindet ihr mit St. Pölten?
Markus Ich wohne ja im Bezirk Lilienfeld und verbinde daher sehr viel mit St. Pölten, bin auch noch oft in der Stadt. Wir waren erst wieder in der Skatehalle im Steppenwolf und es macht einfach Spaß. Man trifft Leute am Skatepark oder alte Kollegen im Kaffeehaus, weil ich ja in St. Pölten zur Schule gegangen und damit ja auch hier aufgewachsen bin. Auflegen habe ich hauptsächlich im Warehouse gelernt. Damals war ja auch der Reini viel dort.
Reini Für mich ist das VAZ irgendwie dieses Kulturzentrum, in dem sich viel Drum & Bass-Szene abspielt. Ein starker Teil der Wiener Szene stammt auch aus St. Pölten und der Region. Vor zehn Jahren war St. Pölten wirklich eine der stärksten Städte in Sachen Drum & Bass. Da gibt es wirklich so viele Leute und eine richtig engagierte Community, vor allem was unsere Generation angeht.
Christian Kolonovits hat die Kulturszene der Stadt kritisiert. Seht ihr das anders?
Markus Also ich will da kein schlechtes Wort verlieren. St. Pölten hat sich wirklich sehr gemausert in den letzten zehn Jahren und geschuftet, um den Kulturhauptstadt-Titel zu gewinnen – auch wenn sie ihn nicht bekommen hat. Aber ganz allgemein wird St. Pölten viel lebhafter und ich bin schon gespannt, wie es in zehn Jahren ausschauen wird. Sie haben ja einiges vor, was ich gehört habe. Wenn ich jetzt auf Wohnungssuche bin, ist St. Pölten sicher auch eine gute Option. Nicht nur weil es nahe an Wien ist, sondern weil es eine lebenswerte Stadt ist.
Reini Also St. Pölten schaut dem Volk schon aufs Maul und will der Jugend was bieten, zumindest habe ich dieses Gefühl. Sie haben einen großartigen Skatepark und durch das VAZ ist einiges los. Das ist für eine kleine Hauptstadt nicht selbstverständlich – und die Community ist sowieso super.